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© Nicko Cruises

BGH verschiebt Risiken von Vorerkrankungen in die Sphäre des Reiseveranstalters: Nicko Cruises erwägt Verfassungsbeschwerde

Am Bundesgerichtshof in Karlsruhe wurde am Dienstag über Rücktritte von Pauschalreisen wegen Pandemie verhandelt. In drei Fällen forderten Reisende eine kostenlose Stornierung, weil sie aufgrund von Corona ihre Reise nicht antreten wollten. Einer der Fälle betrifft eine Donaukreuzfahrt, die eine Touristin bei Nicko Cruises gebucht hatte. Mit dem Urteil des Bundesgerichtshof zeigt sich Nicko Cruises unzufrieden in Bezug auf die ex ante Betrachtung und die Risikoverantwortlichkeiten.

Der BGH hat am 30. August 2022 drei Fälle im Zusammenhang mit Reisen während der Corona-Pandemie 2020 behandelt, die vor Ausbruch der Pandemie gebucht wurden. Darunter waren zwei Fälle aus der Kreuzfahrtbranche, einer davon von Nicko Cruises. „Das Gericht hat hier gleich zwei vernünftige und objektive Prinzipien der Rechtsprechung erschüttert, nämlich die sog. ex ante Betrachtung und die Risikoteilung nach Verantwortungssphären“, kritisiert Guido Laukamp, Geschäftsführer der Nicko Cruises Schiffsreisen GmbH.

Bei der sog. ex ante Betrachtung geht es darum, ob zum Zeitpunkt der Stornierung durch einen Gast mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden konnte, dass zum Zeitpunkt der Reise im Zielgebiet unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorliegen würden, die den Gast dann zu einer kostenlosen Stornierung berechtigten. „Diese Prognosewahrscheinlichkeit ist das einzig mögliche Kriterium, denn niemand hat eine Glaskugel – obwohl es in unserem Fall darauf gar nicht ankam, wir sind ja gefahren“ sagt Guido Laukamp. Der BGH ist sich bei dem ex ante Prinzip jedoch generell nicht mehr so sicher und hat diesen Sachverhalt und die damit verbundene Frage, ob es auch noch auf die Umstände ex post ankommen kann, dem EuGH vorgelegt.

Im Falle von Nicko Cruises ging es dem höchsten deutschen Gericht jedoch um den speziellen Sachverhalt, dass die betroffene Kundin lungenkrank war. Der BGH befand, dass das Auftreten der Pandemie nach Buchung der Kundin einen Umstand darstellt, der das Gefährdungsrisiko in diesem individuellen Fall erhöht hat. „Ich kann nach wie vor nicht nachvollziehen, dass wir das Risiko einer Vorerkrankung eines Gastes tragen müssen – wir sind doch Reiseveranstalter und keine Versicherung! Und nicht einmal die Versicherung würde ein unbekanntes Risiko zeichnen, schließlich legt der Gast uns bei Buchung nicht seine Krankenhistorie offen“ ärgert sich Guido Laukamp. Laukamp meint, dass es bisher in der ständigen Rechtsprechung verbreitet und anerkannt war, die Risiko- und Einflusssphäre des Veranstalters von der des Kunden zu trennen. Auch zu der vom Gericht bei seiner Entscheidung unterstellten räumlichen Enge auf Kreuzfahrtschiffen hat der Manager eine Meinung: „Offensichtlich waren die Richter:innen noch nie zu Gast auf einem modernen Flusskreuzfahrtschiff – dort herrscht kein Gedränge, zumal unseres auf der betroffenen Abfahrt nur gut halbvoll war“.

Im vorliegenden Fall will Nicko Cruises nun zunächst einmal abwarten, bis die Entscheidungsgründe schriftlich vorliegen, erwägt jedoch die Anstrengung einer Verfassungsbeschwerde. Aus Sicht von Nicko Cruises ist mit der Verschiebung von Risiken außerhalb der Verantwortungssphäre des Veranstalters zu dessen Lasten die Voraussetzungen dafür gegeben.

„Im Übrigen ist das nicht einmal verbraucherfreundlich – für Stornierungen wegen Vorerkrankungen, für die sich der Gast ja nicht mehr versichern muss, werden dann letztendlich alle anderen Reisekunden mitbezahlen müssen,“ erläutert Laukamp weiter.